Texte und Projekte

Ein Auszug meiner Texte und Projekte ....

Projekt David Hare in Berlin und Publikation
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Every day, and especially with today’s coolly calculating market conformity in the art trade, artists and gallerists face the question about our aims for defining and presenting art. The late David Hare, an American Surrealist and Abstract Expressionist who was born in 1917 and died in 1992, is a shining example of how, undeterred by ever-changing fashions, artists can maintain their devotion to their own style. His work has given us some wondrous examples of how beauty can generate unorthodox thinking.

Hare Timeless 

As an artist, he was long perceived as an outsider, yet in his lifetime he was on friendly terms with a host of artists; he collaborated with, and was a close friend, among others, of André Breton, Duchamp, Pollock, Calder, Tanguy and Rothko. Jean-Paul Sartre admired his work and wrote a lengthy description of him. But Hare, who always rejected all movements and categorizing and cherry-picked elements from Surrealism, Greek mythology, Expressionism and Shamanism – though never firmly committing to these found his own language and his own techniques. His works are recognizable, his sculptures are timelessly intriguing and his paintings retain a freshness that is increasingly rare in contemporary art.

American Abstract Expressionism

Zusammen mit Willem de Kooning, William Baziotes, Sam Francis, Helen Frankenthaler, Arshile Gorky, Franz Kline, Lee Krasner, Robert Motherwell, Jackson Pollock  und Mark Rothko gilt David Hare als wichtiger Vertreter des „American Abstract Expressionism“. Mit ihrer Loslösung, ihrer Befreiung von jeglichem Anklang an Nachahmung und Dingwelt, repräsentierten sie Autonomie der Kunst, Unternehmensgeist und extremen Individualismus. Hare verstand sich als Gegenbewegung zu Konstruktivismus, Realismus und geometrischer Abstraktion. Kennzeichen ist seine gestisch-expressive Handschrift und ein dynamischer Pinselduktus. Mit seinem impulsiven Malakt ist diese Richtung des Abstrakten Expressionismus den zeitgleich in Europa entstehenden Kunstströmungen des Informel nahe. Gemeinsam ist Informel und Abstraktem Expressionismus darüber hinaus die spontane und unmittelbare Entäusserung des Unbewussten und damit die Orientierung an surrealistischen Automatismen. Die Künstler abstrahierten weniger vom Dinglichen als sie eigene bildimmanente Kunstwirklichkeiten erschufen.

Hare in Time

Seine Malerei, seine Skulpturen, seine Zeichnungen, seine Haltung gegenüber den allgemeinen und gegenüber den damaligen spezifischen Strömungen lassen sich zu jeder Zeit seines Schaffens jedoch als autonome Erscheinung bezeichnen. Sowieso: Expressionismus, und noch weniger abstrakter Expressionismus ist kein klar definierbarer, einheitlicher Stil. Als kunstgeschichtlicher Epochenbegriff wird er daher von einigen Kunsthistorikern sogar abgelehnt. Wenn man jedoch abstrakten Expressionismus als Ausdruck von Subjektivität durch individuelle, künstlerspezifische Mittel bezeichnet, dann gehört David Hare’s Schaffen in eine eigene Liga – klar erkennbare Handschrift, inklusive innerer Widersprüche, divergierenden Erscheinungsmerkmalen, Gegensätzen wie Instinkt und Intellekt, Optimismus und radikaler Pessimismus, Allegorien auf griechische Mythologie und gleichzeitig Aufrufe zur künstlerischen Revolution stehen neben intellektuellen Analysen: „Fine art is always a minority endeavor.“

Jean-Paul Sartre

... „With David Hare, magic becomes the hereafter of sculpture, it is a manner of suggesting that man is always ahead of himself and that the world is, at the same time, completely given, in the mathematical sense of the world, and completely to be made. Graceful and comical, mobile and congealed, realist and magical, indivisible and contradictory, showing simultaneously the mind which has become an object and the perpetual bypassing of the object by the work, Hare’s work, in its ambivalence, has the disturbing and malicious aspect of delightful bad luck charms.“ (From „N-Dimensional Sculpture“, Essay by Jean-Paul Sartre on David Hare1998).

David Hare (1917 ­– 1992)

Hare wurde 1917 in New York als Sohn des Rechtsanwalts Meredith Hare und der Kunstsammlerin und 1913 Mitgründerin der Armory Show, Elisabeth Sage Goodwin, geboren. Seine Eltern waren befreundet mit Künstlern wie Brancusi, Walt Kuhn und Marcel Duchamp. 1936 bis 1937 Biologie- und Chemie-Studium in New York. Ab 1939 Experimente mit  Farbfotografien. 1940 Porträtaufnahmen von Pueblo-Indianern in New Mexico für das American Museum of Natural History, Eröffnung Fotografie-Studio in New York; im selben Jahr widmete ihm die Julien Levy Gallery eine Einzelausstellung. Im Jahr 1941 traf David Hare auf André Breton, der aus Frankreich nach New York emigriert war. Breton plante mit Hilfe von Marcel Duchamp und Max Ernst die Veröffentlichung eines surrealistischen Magazins. In Roxbury traf Hare Künstler (und Nachbarn) wie Alexander Calder, Arshile Gorky und Yves Tanguy. 1942 bis 1944 war er Herausgeber von VVV. In dieser Zeit begann er als Autodidakt mit der Arbeit an surrealistischen Skulpturen. Die zweite Frau André Bretons, Jacqueline Lamba, trennte sich 1942 nach einer Affäre mit Hare von ihrem Ehemann; die Hochzeit mit David Hare fand 1946 statt. 1943 bis 1947 zeigte die Galeristin und Kunstsammlerin Peggy Guggenheim neben Hares Werken in ihrer Galerie „Art of This Century“ Arbeiten von Hans Hofmann, Jackson Pollock, William Baziotes, Mark Rothko, Robert Motherwell, Clyfford Still und anderen. 1948 wurde Hare zusammen mit Baziotes, Still, Motherwell und Rothko Gründungsmitglied der  „The Subjects of the Artist School“ in New York. Wegen finanziellen Problemen schloss die Schule ein paar Jahre später jedoch wieder.  1948 Aufenthalt in Paris, reger Austausch mit Balthus, Victor Brauner, Alberto Giacometti und Pablo Picasso. 1953 Rückkehr nach New York, verbrachte aber erneut die nächsten beiden Sommer in Paris. In den 1950er-Jahren widmete Hare sich der Malerei, seine mythologischen Motive entsprachen der Richtung des Surrealismus und des Abstrakten Expressionismus, die er auch später beibehielt, als sich andere Kunstformen entwickelten. Ab 1985 wohnhaft in Victor, Idaho. 1969 Ehrendoktor Maryland Institute of Art in Baltimore. 1991 vierte Ehe mit der Schweizerin Therry Frey. 1992 starb David Hare in seinem Landhaus in Jackson Hole, Wyoming an den Folgen eines Aneurysmas. Er hinterliess seine Witwe Therry Frey sowie seine zwei Söhne aus früheren Ehen.

Sammlungen

Dallas Museum of Art, Texas, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington D.C., Museum of Fine Arts, Boston, Museum of Modern Art, New York City, The Phillips Collection, Washington D.C., Albright-Knox Art Gallery, Buffalo, New York, Harvard University Art Museums, Massachusetts, Indianapolis Museum of Art, Indiana, Mildred Lane Kemper Art Museum, St. Louis, Missouri, The Whitney Museum of Modern Art, Sheldon Museum of Art, Lincoln, Nebraska, Smithsonian American Art Museum, Washington D.C., MARTa Herford Museum für zeitgenössische Kunst, Herford, Deutschland.

Publikation

SHAPE OF THINGS by David Hare. Texts by Philippe Rey, essay by Uwe Goldenstein. English, 23 × 30.5 cm, 56 pages, 40 color and black & white plates, wrap around softcover. Kodoji Press, Baden 2021, ISBN 978-3-03747-104-3. Retail price CHF 35.00

Projekt 7 Glorreiche 1989 – 2029
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Begleittext zur Sonderausstellung „Die Sieben Glorreichen“ im Historischen Museum Baden

Schiisst mi aa

Es begann als Shooting von sieben stolzen Vätern. Der junge Fotograf Felix Wey, frisch ab New Yorker Fotoschule, wurde 1989 engagiert, um an einem kalten Wintermorgen irgendwo im Limmattal sieben Babies und sieben junge Papas zu portraitieren. Er hatte sich als Hausfotograf des Zirkus Monti bewährt und war, wie man in der Retrospektive feststellen kann, definitiv der Richtige für diese schwierige Aufgabe. Immerhin: 1989 ist das Jahr der Wende: Die Berliner Mauer bricht, Appenzell erlaubt das Frauenstimmrecht. Vor allem aber: 1989 werden sieben Kinder geboren und damit sieben Männer zu stolzen Vätern gemacht. Die sieben Glorreichen – ein Ereignis! Wissen Sie, es gibt Leute, die sind wahnsinnig wehleidig, die sich bei jedem, erlauben Sie den Ausdruck, bei jedem Furz ins Bett legen. Die sieben Glorreichen nicht. Sie sind hart.

Von 1989 bis 2009 wurden jedes Jahr am ersten Sonntag des Dezember, immer um 10 Uhr, immer auf selben Platz und stets mit der gleichen Aufstellung vom gleichen Fotografen Fotos der sieben Glorreichen geschossen, die 1989 geboren wurden. Sie kamen bei guter und bei schlechter Laune, mit oder ohne Grippe, und sie wären wohl auch bei Pest und Cholera gekommen. Dabei ist bis heute nicht definiert, ob nun die ebenfalls auf den Fotos erscheinenden Väter, oder ob die 7 Kinder die Glorreichen sind.

Es begann also damit, dass sich alle 7 Väter mit ihren 7 Kindern im Halbkreis aufstellten – wie das Plakatfoto beim Film „Die glorreichen Sieben“. Der Fotograf machte Faxen, die Stimmung war aufgeheitert, danach tranken alle eine heisse Schokolade und man vereinbarte, im nächsten Jahr die Aktion zu wiederholen.

Jahr um Jahr ging das weiter – wenn auch nicht reibungslos. In einem Jahr erlitt eine der Glorreichen einen Beinbruch. Sie wurde im Rollstuhl hergekarrt. Ein Jahr später litt einer an Röteln, er wurde im Taxi hergefahren, das Foto wurde geknipst und er legte sich wieder ins Bett. Mehrmals musste der eine oder andere noch aus dem Bett gezerrt werden. Mit beginnender Pubertät waren nicht mehr alle Kinder motiviert, sich in eisiger Kälte fotografieren zu lassen: „Schiisst mi aa.“ „Ha Grindweh, gang allei.“ „Muess ich unbedingt?“ „Nei, scho wieder?“ „Affechelti, gopf.“ Selten zwar, aber hin und wieder fielen solcherlei Kommentare, doch wurden sie geflissentlich mit Motivationstechniken, aber auch Gruppenzwang, Solidaritätsstress und teilweise gar Bestechungsmassnahmen weggeputzt.

Der Aufwand, alle 15 Personen für eine Stunde zu mobilisieren, wuchs auch aus anderen Gründen von Jahr zu Jahr. In einem Jahr war plötzlich eine Baustelle da, wo das Shooting hätte stattfinden sollen, in einem andern Jahr hatte man uns einen Käsestand hingepflanzt. Einmal waren die Schneeflocken riesig, einmal herrschte Nebel, einmal pralle Sonne, und im nächsten Jahr herrschte Glatteis. Einer der Glorreichen musste kurzfristig aus Dresden hergeflogen werden, er hatte den Termin vergessen. Einer hatte in einem Jahr heftigen Durchfall, er trug einen langen Mantel und war nervös. Einer verschob dafür zwei Jahre nacheinander einen Flug an eine wichtige Messe in Miami um einen Tag. Und doch: einundzwanzig Shootings fanden lückenlos statt, 2018 das 22.

Mehr als einmal waren die Mütter der sieben Glorreichen entweder solidarisch mit den Glorreichen, oder froh um einen halben Tag Ruhe, oder eifersüchtig und versuchten, das Projekt zu verhindern, oder aber sie kopierten es. Nicht selten aber, und dafür gebiert ihnen Dank, übten sie Druck auf die Glorreichen aus, um den Termin zu retten. 15 Personen auf den Punkt zu bringen, jeden ersten Sonntag im Dezember, um 10 Uhr, 20 Jahre lang, und schliesslich noch einmal, am 9. Dezember 2018 – das bedingt sackweise Motivationspulver, meterstarke Nerven, reihum Unterstützung und vor allem abgrundtiefe Geduld.

Das Projekt wurde nach 30 Jahren mit einer umfangreichen Ausstellung 2019 im historischen Museum Baden abgeschlossen. Fortsetzung folgt mit dem Jubiläumsphoto 2029, wenn die 7 Glorreichen 40 Jahre alt werden…

Text Zweifelsfälle der deutschen Sprache: Schluss machen
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Die schlechte Nachricht: Schluss machen ist immer schwierig. Sich trennen bedeutet, eine Kommunikation vorübergehend oder für immer zu unterbrechen. Die gute Nachricht ist: nach einem korrekten, stilsicheren und taktvollen Ende können Sie in der Regel eine Antwort erwarten. Vor allem in der Geschäftskorrespondenz.

Alles hat einen Anfang und ein Ende – auch ein Brief. Ob Sie mit „Mein Allerliebster“ oder „Sehr geehrter Herr ...“ beginnen, hat einen grossen Einfluss auf das Verständnis. In der französischen Sprache ist die Schlussformel (formule de courtoisie) besonders wichtig. Ich zeige Ihnen mit 8 Grundregeln, wie Sie am besten Schluss machen.

Grundregel 1: Es spielt eine grosse Rolle, wie Sie Schluss machen. In der Korrespondenz, versteht sich. Es mag noch angehen, wenn Sie sich von Ihrem Ex per Mail mit „Machs gut“ verabschieden – für einen Lieferanten oder gegenüber dem Chef ist das ganz und gar nicht angebracht. Im Zweifelsfalle „Freundliche Grüsse“.

Grundregel 2: Lieber zu nett als zu salopp. Liebgruss ist ein no-go, alle xxx, lg und hg und cu haben in der Korrespondenz ebenfalls nichts zu suchen. Ganz peinlich: ewig grüsst das Mäuschen. Keine Kuscheltiere bitte. Häufig findet man auch die Abkürzung MfG (Mit freundlichen Grüssen) in einem Schreiben, meistens in E-Mails. Eine solche Abkürzung vermittelt dem Empfänger „Für dich nehme ich mir nicht mal die Zeit, die Grussformel auszuschreiben“.

Grundregel 3: Wenn Sie nicht zu den Ü50 gezählt werden wollen, vermeiden Sie „Wir hoffen, Ihnen mit diesen Angaben gedient zu haben, und verbleiben mit freundlichen Grüssen“ (besser: Haben Sie Fragen? Rufen Sie uns an: 056 ...). Zeitgemäss für „Wir stehen Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung“ wäre Rufen Sie uns an − wir sind für Sie da. Ebenfalls krass veraltet sind „Hochachtungsvoll“, „Mit vorzüglichen Grüssen“.

Grundregel 4: Leserin ernst nehmen. Nicht lange fackeln, keine Beleidigung (etwa: wir bitten um Kenntnisnahme – wenn jemand den Brief bis hierher gelesen hat, wurde er schon zur Kenntnis genommen). Weiteres Beispiel dazu: Die Variante „Wir gewähren Ihnen ausnahmsweise 15% Rabatt“ ist Ich-bezogen, hingegen ist die „Sie erhalten ausnahmsweise 15% Rabatt“ auf die Leserin gemünzt. „Bitte antworten Sie uns“ ist klarer, deutlicher und weniger forsch als „ Wir bitten Sie um eine Antwort.“

Grundregel 5: C’est le ton qui fait la musique – gehen Sie auf die Leserin, den Leser ein. Der ganz korrekte Schluss lautet: Freundliche Grüsse. Ohne Punkt. Aber: Ein klitzekleines Wörtchen (Partikel) kann schon den feinen Unterschied bewirken. Wer Mit freundlichen Grüssen schreibt, ist keineswegs veraltet, sondern beweist unter Umständen vielleicht ein ausgeprägtes Höflichkeitsempfinden. Auch als korrekt gilt: Beste Grüsse.

Grundregel 6: Es ist nicht verboten, stilvoll kreativ zu sein, insbesondere dann nicht, wenn eine geschäftliche Beziehung schon seit einiger Zeit besteht. Bevorstehende Jubiläen, Feiertage oder Jahreszeit betreffen uns schliesslich alle. Beispiele: Wir wünschen Ihnen erholsame Sommerferien und grüssen Sie freundlich. Frohe Festtage und einen guten Rutsch ins 2014. Tunlichst vermeiden: Religiöse Feste. Da sind Fettnäpfe vorprogrammiert.

Grundregel 7: Seien Sie vorsichtig mit dem PS. Eigentlich ist das Post Scriptum mit dem Untergang von Tipp-Ex und Kohlepapier verschwunden. Ein Nachsatz fällt schon optisch auf und wird darum besonders beachtet.

Schlussgrundregel: Beilagen immer nach der Unterschrift am linken Rand aufführen, das Wort „Beilage(n)“ wird nicht mehr erwähnt.

(Artikel ist in Miss Monneypenny erschienen)

Text Artikel für die NZZ
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Drei Millionen pro Quadratzentimeter

Stolze 450'312'500 USD hat neulich ein Käufer für das als medioker und in mässig gut erhaltenem Zustand beschriebene Werk „Salvator Mundi“ von Leonardo da Vinci an einer Auktion hingeblättert.  Anders formuliert: ein Investor war bereit, pro cm2 eingefärbter Leinwand die unglaubliche Summe von USD 3 Mio. zu bezahlen. Der Gesamtbetrag entspricht 3000 Luxuslimousinen. Oder dem BIP des Staates Tonga (172 Inseln, 103'000 Einwohner).

Eichhörnchen und Bienen sind für ihren Sammelfleiss bekannt, aber auch Elstern und Saatkrähen sorgen vor, um nicht auf das karge Angebot der Wintermonate angewiesen zu sein. Nicht anders verhalten sich Menschen, wenn sie Vorräte anlegen und großen Einfallsreichtum beim Konservieren und Einlagern von Nahrungsmitteln beweisen. Von allen Motiven, die Menschen im Innersten bewegen und handeln lassen, gibt es kaum eins, das nicht seine Ursache im Sammeln hat. Doch bei 450 Millionen kann von Sammeln keine Rede mehr sein. Vielmehr drängen sich da Fragen bezüglich der Motivation. Tätigte der weiterhin nicht bekannte Käufer eine Anlage, um in einer „ferneren“ Zukunft eine weitere massive Wertsteigerung zu erzielen? Ist ihm oder ihr die Trophäe wichtig, weil ihm der schiere Reichtum nicht mehr reicht, weil er schon alle Geweihe, Elefantenzähne und Löwenfälle, Autos und Schlösser satt hat?  Ist er, ist sie an Kunst überhaupt interessiert, oder wandert das Bild von einem Zollfreilager ins nächste? Wird das Werk dereinst der Öffentlichkeit zugeführt, oder verschwindet es in irgendeinem hermetisch abgeriegelten Protzpalast? Hat womöglich gar keine Sammlerin und kein Sammler, sondern eine der Top Five Galerien den Salvator Mundi in Ketten gelegt?

Für mich als Kulturfreund, für mich als an Kunst interessiertem Menschen mit mindestens minimalem Kunstverständnis generiert solches Finanzgebaren Kopfschütteln.  Es ist für den Kunstfreund nur  bedauerlich, wenn der Kunstmarkt vom kulturlosen, kunstdesinteressierten, neuen Geldadel, von marketinggetriebenen Galerien und Kunsthändlern missbraucht, wenn nicht sogar manipuliert wird. Ein gutes Beispiel ist auch der masslose Hype der Fotographie in den 90er-Jahren. Editionen von 5 bis 10 von inzwischen in der Versenkung verschwunden Fotographen wurden oft für Millionenbeträge mit der vielfach verwendeten Begründung verhökert, dass ein Exemplar vom MoMa gekauft worden sei.

Im Grunde könnte uns dieses pompöse, verschwenderische Tun egal sein. Ist es aber nicht, denn gepaart und unterstützt mit dem Medienhype bezüglich Spitzenpreisen, geschürt vom Neid der besitzlosen, angeheizt durch das anonyme Versteckspiel der Käuferinnnen und Käufer der exorbitantesten Preise wirkt sich dieses Tun ausserordentlich negativ auf die allgemeine Kunstwahrnehmung aus. Galerien, die junge Künstler aufzubauen versuchen, werden weggeschwiegen. Vermittler, die junge Positionen zeigen wollen, werden ausgelacht. Eine Studie der TEFAF Foundation behauptet, dass 55 % aller weltweit getätigter Kunstkäufe unter Euro 3000 liegen sollen. Dazu müsste auch wieder eine jüngere Käuferschaft für Kunst interessiert werden können. Die wird jedoch von derartigen Dimensionen abgeschreckt. Statt über die harte Arbeit junger Künstler, statt über die Engagements risikobereiter Galeristinnen zu berichten, erfährt man nur noch Spitzenpreise, kennt man Jeff Koons Kapriolen, staunt man über Damien Hirsts Marketingerfolge oder eben, bewundert halbe Milliarden teure Wettrennen um Aufmerksamkeit. Und wenn dann die nachwachsende Generation auch nur den Hauch von Erfolg vorweisen kann, schnappen die global tätigen Kunst-Players und Art Basel Stakeholders sich die Filetstücke weg. Kein Wunder, schliessen in Zürich und anderswo im Wochentakt Galerien die Tore. Kein Wunder, wenn die interessanten Museen weniger Besucher anziehen als jene, die nur Hitaparaden-Ausstellungen grümscheln.

Sich als kunstinteressierten einfach von diesem durch Ego und durch das seit der Finanzkrise massenhaft geschaffene billige Geld getriebenen Kunstmarkt abzuwenden, ist allerdings keine Lösung. Ein für viele leider schwieriger und auch sehr zeitaufwendiger Lösungsansatz wäre, innovativen, heute noch weniger bekannten Galerien nachzugehen und dort Neues zu entdecken. Der früher selbstverständliche Bildungsauftrag müsste ebenfalls erneuert werden: einmal pro Jahr müsste jede Schülerin, jeder Schüler in ein Museum oder eine Galerie. Warum gibt es heute noch keine  spannende kunst- und kulturvermittelnden elektronischen Spiele?

Nach dem Skandal um den Zahnarzt Walter Palmer, der den Star-Löwen Cecil für 50‘000 US-Dollar erlegt hatte, schwoll laute Empörung an. Trophäen seien pervers, da war man sich einig. Bei Trophäen für 450 Millionen jedoch schweigen die Medien diskret und räuspern stille Bewunderung.

Ich aber lasse mich nicht beirren. Ich werde mich weiterhin erfrechen, über solches Gebaren hinwegzusehen. Ich werde weiterhin meiner Freude an junger, frischer Kunst freien Lauf lassen. Ich werde mir weiterhin das Privileg gönnen, mich inspirieren zu lassen und das eine oder andere Kunstwerk zu erwerben, unabhängig davon, ob dies jetzt zu meinem Renommee beiträgt oder nicht. Ich werde weiterhin auf Kunsthitparaden pfeifen und jene Medien meiden, die bloss noch Event-Berichterstatter, Auktions-Höseler und Protzgläubige sind.

Philippe Rey, Sammler

Text Sei mir gegrüsst, Melancholic Resistance
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Zur Einstimmung des folgenden Essays empfiehlt sich Nocturne op.27 Nr.1 Cis-Moll, Larghetto, oder Nocturne op. 27 Nr. 2 Des-Dur, Lento sostenuto. Damit trieb Fréderic Chopin die Gattung des Nocturnes auf die Spitze und vollendete sie auf hochmelancholische Weise. Die Empfehlung lässt sich ausweiten auf andere akustische Melancholiemeisterinnen und Meister, die Abgründe in Musik verwandeln, etwa Liszts Mephisto-Walzer, oder Patti Smith, PJ Harvey, Liz Phair, Mike Hadreas alias Perfume Genius, Björk für den  sphärisch-melancholischen Avantgardepop, Radiohead als melancholische Stilgrenzensprenger.

Allen gemeinsam sind die Melancholie, ein durchkomponiertes Ganzes und eine eigene, über jeden konventionellen Zeitgeist hinaus erhabene Handschrift. Allen gemeinsam ist ebenfalls, dass sie sich mit Ihren Werken dem Verschwinden ästhetischer Massstäbe entgegensetzten, dass sie sich der postmodernen Unverbindlichkeit widersetzten und dass sie dem allgemeinen Trend zur Trivialisierung trotzten. Das gilt ebenso für alle in dieser Publikation dargestellten Künstlerinnen und Künstler.

Ich denke, also bin ich

Jeden Tag, besonders aber in diesen Zeiten, in denen die kalkulierte Marktkonformität den Kunstbetrieb dominiert, sollten sich Künstler*innen, aber auch Sammler, Kunstkritiker, Kuratoren und Galeristen die Frage stellen, was Kunst sei. Die in dieser Publikation gewürdigten Künstlerinnen und Künstler sind Beispiele dafür, wie man sich unbeirrt aller Trends seinem Weg widmen kann. Sie haben durch ihre  Arbeit phantastische Beispiele dafür geliefert, welche Schönheit unorthodoxes Denken generieren kann.

Mit Teodora Axentes provokativer Frage „Wer kann mir beweisen, dass die Welt, die ich baue, nicht die wirkliche ist?“ wird sinnbildlich auf Denkprozesse hingewiesen, die seit Jahrhunderten Kunst, Philosophie, Logik und Literatur beschäftigen. Die Wirklichkeit, wie Descartes in seinem Hauptwerk „Meditationes de prima philosophia“ herausstellt, ist eine von uns selbst erschaffene. Sie ist abhängig von dem, was wir subjektiv erfahren und nicht mehr - aber auch nicht weniger - als eine Konstruktion des Gehirns. Diese Struktur beruht auf der Annahme, das Ich sei stets in einem dynamischen Prozess von Erfahrungswerten, von Bestimmtheit und Offenheit, der zur Wirklichkeit wird, wenn das Ich sich die Frage nach sich selbst, reflexiv, immer wieder erneut stellt. Descartes konstituiert das Ich als eines, das sich nur durch das Denken allein definieren kann; die Wahrnehmung wird zum subjektiven Instrument der Identifikation. Identifikation geschieht durch das Denken, der einzigen ontischen Gewissheit, die dem Ich erlaubt ist: „Ich denke, also bin ich“. Das bedeutet, und dies ist ganz im Sinne dieser neuen Gruppe von Künstlern*innen, dass es nie nur eine einzige Wirklichkeit gibt, sondern stets unzählige, nebeneinander existierende Wirklichkeiten, die davon abhängig sind, wie das Subjekt sie wahrnimmt.

Mag sein, dass die 12 Künstler*innen eine Diskrepanz zwischen ihren allegorischen Selbstdeutungen und den Seherfahrungen der Betrachter generieren. Umso besser – zumindest dann, wenn sie nicht mit der Mehrdeutigkeit von Kunstwerken verwechselt wird. Künstler wie Radu Belcin, Teodora Axente und Nicola Samori haben sich in den dunklen Seiten der Fantasien umgesehen, nicht um ihnen zu verfallen, sondern um darin andere Seiten des handelnden Menschen als Bilderfahrung einsichtig zu machen. Verbunden ist diese Generation von Künstlern aus den 70er und 80er Jahren durch ihr Werk, das eine melancholische Stimmung, einen Zweifel und eine Unsicherheit angesichts unserer heutigen als Umbruchzeit erlebten Wirklichkeit vermittelt. Darin unterscheiden sie sich wohltuend von den gängigen Massstäben des Mainstreams, von den Beliebigkeiten der kantenlosen, dekorativen und letztlich banalen Spitzenreitern der Kunstmarkt-Hitparaden.

Über gebaute Welten

In der totalen Digitalisierung und Ästhetisierung des Lebens durch die Massenmedien, in diesen Zeiten globaler Zugänglichkeiten zu allen möglichen realen und irrealen, fiktiven und wirklichen Welten wird die Kunst zum Teil dieser Bewegung und gewinnt zwar bezüglich Verbreitung signifikant an Relevanz, verliert aber gleichzeitig an Relevanz bezüglich nachhaltigem Diskurs. Die Kunst muss sich als  individueller Akt behaupten. Machen es sich die Künstler einfach und bewegen sich in dem als Kunst Akzeptierten, in dem als markttauglich definierten Kunst-Verständnis nachvollziehbar, so ist er oder sie Mitläufer*in im System und dadurch austauschbar. Genau dies sind die erwähnten Künstlerinnen und Künstler nicht. Nicht in, sondern trotz der totalen Vermarktung und schleichenden Dekoratisierung der Kunst schöpfen die Melancholic-Resistance-Künstler und -Künstlerinnen ihren gestalterischen Impetus mit unbeschreiblicher Konsequenz, mit Selbstverständlichkeit und aus der Überzeugung, die bildnerische Wirklichkeit offenbare sich kraft der Ausdrucksstärke. In diesem Sinne sind sie konventionell in der Materialisierung ihrer Botschaften, aber disruptiv in ihrer Haltung. Sie sind Teil, oder gar treibend einer grundlegenden ontologischen Verschiebung der Künstleridentität. Sie zeigen uns einen Weg aus der Postmoderne als verführerisches des närrischen Künstlers mit Maske. Durch ihre gebauten Welten, durch ihre zumeist figurativen, verbindlichen Stile stellen sie einen wohltuenden Reflex gegenüber den seit einigen Jahren in immer schnellerem Duktus stattfindenden epochalen Veränderungen dar.

Über die Transzendenz der Melancholie

Für Gerhard Polt sei Melancholie, wie er einst sagte, «aktive Resignation» – ein klassisches Melancholiker-Statement. James Dean, der melancholische Rebell, trug sein unbestimmtes Wehweh und den tiefsinnigen Blick wie das Burberry-Zeichen auf dem Polohemd. Peter Gabriel komponierte zur Melancholie seinen Song „Bloof of Eden“, David Bowie „Ashes to Ashes“, Lou Reed und John Cale schufen dystopische Klanglandschaften, etwa „Pale Blue Eyes“ oder „Dying on the Vine“.

Für Psychologen ist Melancholie eine Art Gegentypus zur Depression. Sie könne zwar in Traurigkeit oder depressive Verstimmung abgleiten. «In der Regel kann man sich daraus aber selbst wieder herausziehen.» Durch Denkarbeit zum Beispiel. Indem wir ein Problem, Gefühl oder eine Stimmung zulassen und uns damit auseinandersetzen – und das tun alle Vertreter*innen dieser Publikation.

Albrecht Dürers rätselhafter Kupferstich Melencolica I von 1514 prägte die allegorischen Konventionen der Melancholie-Darstellung für die folgenden Epochen, unter anderem ausgelegt in Gottfried Kellers Gedicht „Melancholie“:

Sei mir gegrüßt, Melancholie,
Die mit dem leisen Feenschritt
Im Garten meiner Phantasie
Zu rechter Zeit ans Herz mir tritt!
Die mir den Mut wie eine junge Weide
Tief an den Rand des Lebens biegt,
Doch dann in meinem bittern Leide
Voll Treue mir zur Seite liegt!

Die mir der Wahrheit Spiegelschild,
Den unbezwungnen, hält empor,
Dass der Erkenntnis Träne schwillt
Und bricht aus dunklem Aug hervor;
Wie hebst das Haupt du streng und strenger immer,
Wenn ich dich mehr und mehr vergaß
Ob lärmendem Geräusch und Flimmer,
Die doch an meiner Wiege saß!

(* Gottfried Keller, * 19. Juli 1819 in Zürich; † 15. Juli 1890 ebenda war ein Schweizer Dichter und Politiker)

Kant betrachtet Melancholie als eine besondere Empfänglichkeit für das Erhabene, angesichts dessen das Subjekt in »negativer Lust« seiner realen Ohnmacht innewird, Freud definiert Melancholie im Unterschied zur Trauer als »einen dem Bewusstsein entzogenen Objektverlust«, durch den nicht die Welt, sondern das Ich als entleert empfunden werde. Melancholic Resistance Künstlerinnen und Künstler jedoch beinhalten auch das Gegenteil, mit Betonung auf Resistance. Dazu zwei Beispiele:

Ähnlich wie der 1472 geborene Lucas Müller, später Cranach genannt, ist Nicola Samori (I) eine Bereicherung über die Einzelleistung heraus. In diesem Sinn kann man auch Samori als Reformationsmaler bezeichnen. Ähnlich wie Cranachs „schaurige Einsamkeit auf der Schädelstätte“ machen ihn seine Werke zum Vorkämpfer einer neuen malerischen Gesinnung – notabene im 21. Jahrhundert. Mit kluger Überlegtheit bietet er seit 1997, 98 Beweise für die in der Gesamtform wie in jeder Einzelheit sich offenbarenden Kühnheit, Stil, Material, Grundlage, Sujet, Motiv und Stimmung zu einer unmittelbaren Zusammengehörigkeit zu verschmelzen, unbeirrt aller gegenwärtigen Strömungen, unbeeindruckt aller modernen Tendenzen, auf meisterliche, oft gar barocke Art und Weise, die sich mit einer unverkennbaren Handschrift manifestiert.

Denken geht bei der rumänischen Künstlerin Teodora Axente allem voran. Dazu noch einmal ihr bereits erwähntes Zitat: “I see the game as an escape,” sagt sie. “Who can prove to me that the world I build is not the real one?” Das ist eine direkte Anspielung auf Immanuel Kant. Dass die 1984 geborene Teodora Axente einen PhD erwarb, dass sie bereits mit Ausstellungen in Italien, England, Rumänien, Frankreich, USA, in Belgien und in der Schweiz Aufsehen erregte, dass sie philosophische Diskurse liebt, dass sie konsequenterweise auch ihre Kleider designt ist kein Zufall. In einer Zeit, die sich vermeintlich auf binäre Antworten sucht, ja oder nein, in einer Zeit der Umwälzungen sind Künstlerinnen wertvoller denn je: sie setzen neue Impulse und regen zum Denken an.

Über Glückseligkeit

Das überwiegend grundsätzlich kritische bis pessimistische Lebensgefühl der Melancholie reicht von  Beziehungsfragen bis zu transzendentalen Fragen: Die Trauer über das Ende einer Liebesbeziehung, die fehlende gegenseitige Liebe, die Trauer über das vom Tod überschattete Leben, Todessehnsucht, Lust auf das Nichts, Besessenheit, die Doppelnatur und Zerstörungskraft des Menschen und das ambivalente Bild der Welt ausserhalb eines in Träumen herbeigesehnten Paradieses. Aber: Ziel des Denkens ist nicht die Melancholie, sondern – im Gegenteil! – „eudaimonia“, die Glückseligkeit. Aristoteles meint, man soll seinen melancholischen Gedanken über die Welt die Philosophie entgegensetzen. Baudelaire setzt mit „Hymne à la beauté“ in einem Atemzug Schönheit mit Erhabenheit und Glückseligkeit gleich:

Viens-tu du ciel profond ou sors-tu de l'abîme,
Ô Beauté! ton regard, infernal et divin,
Verse confusément le bienfait et le crime,
Et l'on peut pour cela te comparer au vin.

Que tu viennes du ciel ou de l'enfer, qu'importe,
Ô Beauté! monstre énorme, effrayant, ingénu!
Si ton œil, ton souris, ton pied, m'ouvrent la porte
D'un Infini que j'aime et n'ai jamais connu ?

Auch Edgar Allan Poe beschreibt die Unwirklichkeit einer Begegnung auf melancholische, letztlich aber positive Weise. Sie scheint zeitgleich real und löst im Lyrischen Ich die Assoziation an einen Traum aus, so dass es sich nicht sicher sein kann, ob sie wahr ist oder nicht. Was ihm zuvor glasklar erscheint - dass alles, was wir sehen und was wir zu sein scheinen, nur ein Traum in einem Traum ist -, zieht es zum Schluss des Gedichts wieder in Zweifel. So ist letztendlich nichts gewiss; das Lyrische Ich bleibt in einem Zustand, in dem es sich nicht sicher sein kann, ob das, was es für wahr hält, nicht nur ein Traum ist und umgekehrt:

All that we see or seem
Is but a dream within a dream.

Eine radikale Erkenntnis dieser Sichtweise ist, dass nichts, was man für wahrhaftig hält, es auch tatsächlich ist. So könnten wir alle träumen, ohne es zu merken oder wach sein, in dem Glauben zu träumen.

Pekuniäres versus Denken – Denken gewinnt

Das Verständnis für Transzendenz, Romantik, Melancholie, Verbindlichkeit, für den Diskurs um Inhalte und der Mut, Avantgarde zu postulieren ist dem gänzlich marktorientierten Apperzeptionsschema eines modernen Kunstbetrachters nahezu gänzlich abhanden gekommen. Selbst die „Curators“, wie sich seit einigen Jahren Kunstvermittler nennen, und die stetig schwindende Anzahl Kunstkritiker, beziehen sich zumeist auf Rankings, Marktwerte und Markttendenzen, bevor sie Meinungen äussern. Kunstmessen diskutieren kaum mehr Inhalte und Positionen, sondern verlassen sich auf pekuniäre Parameter und werden dadurch austauschbar, wie Autosalons und Rasenmähermessen auch.

Mit ihren Arbeiten manifestieren die „Melancholic-Resistance-Künstler*innen“ Teodora Axente (RO), Radu Belcin (RO), Nicola Samorì (I), Inna Artemova (RU), Daniel Behrendt (D), Adam Bota (A), Alin Bozbiciu (RO), Simone Haack (D), Flavia Pitis (RO), Maurizio LÁLtrella (I), Sergiu Toma (RO), Richard Wathen (UK), Heiner Altmeppen (D), Michael Borremans (B), Adrian Ghenie (RO), Victor Man (RO), Justin Mortimer (UK), Daniel Pitin (CZ), Ulf Puder (D), Mircea Suciu (RO), Attila Szücs (H), Alexander Tinei (MOL) ihren Sieg über die marktorientierte Verabsolutierung auf Selbstaffirmation basierende Auffassung von Kunst. Sie regen zum Nachdenken an. Sie sind spannend, sie sind disruptiv und sie setzen, wie bereits im Text von Martin Deppner erwähnt, neue Impulse. Im Idealfall werden sie zu einem radikalen Kunstrisiko, denn sie werden hoffentlich jene grosse Mehrheit der Rezipienten verunsichern, die auf das Bewährte abstützen. Stattdessen regen sie zum Denken an. Und davon braucht es je länger, je mehr.

Philippe Rey, Autor und Kunstvermittler. Text in „Preparing for Darkness”, Berlin.